Probiotika
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 36
, PK946, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 17. Februar 2015
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2014.946
Wirkmechanismus von Probiotika
Verschiedene Mechanismen könnten für die Wirkungen von Probiotika verantwortlich sein. Laktobazillen bilden Milch-, Essig- und Propionsäure, die den intestinalen pH-Wert senken und das Wachstum von pathogenen Keimen wie E. coli und Clostridien hemmen können. Für die Hefe Saccharomyces boulardii wurde gezeigt, dass sie bakteriellen Toxinen entgegenwirkt. Möglicherweise verhindern Probiotika noch auf anderen – physikalischen oder chemischen – Wegen die Adhäsion und Besiedlung durch pathogene Keime; es ist denkbar, dass durch Probiotika auch Immunreaktionen stimuliert werden.
Klinische Studien
Naturgemäss ist die medizinische Anwendung von Probiotika mehrheitlich bei gastroenterologischen Problemen untersucht worden.
Antibiotika-assoziierte und Clostridum-difficile-Diarrhoe
In einer Metaanalyse wurden 82 Studien zusammengefasst, in denen man die Zugabe von Probiotika zu einer Antibiotika-Behandlung untersucht hatte. Damit liess sich – im Vergleich zur alleinigen Antibiotika-Therapie – die Häufigkeit von Antibiotika-assoziierten Diarrhöen signifikant senken (relatives Risiko [RR] 0,58, 95% CI 0,50–0,68) (4). Eine Cochrane-Übersicht widmete sich derselben Fragestellung bei Kindern; hier zeichnete sich auch ein Vorteil für die Probiotika ab, der aber nicht signifikant war (5). Weitere Metaanalysen, die durchgeführt wurden, kamen ebenfalls zum Schluss, dass Probiotika die Wahrscheinlichkeit einer Antibiotika-assoziierten Diarrhoe vermindern.
Auch das Risiko der durch Clostridium difficile verursachten pseudomembranösen Kolitis scheint sich einer Metaanalyse zufolge mit einer Probiotika-Einnahme reduzieren zu lassen, und zwar von 5,5 auf 2,0% (RR 0,36, 95% CI 0,26–0,51) (6).
Im Widerspruch zu diesen Daten steht eine neue Studie, die in der Medical-Letter-Übersicht noch nicht erwähnt ist. Sie umfasste fast 3000 Personen im Alter von über 65 Jahren, die zusammen mit einer Antibiotika-Behandlung drei Wochen lang ein Probiotikum-Präparat mit Laktobazillen und Bifidobakterien oder Placebo einnahmen. Wie sich zeigte, konnte mit dem Probiotikum das Risiko einer Antibiotika-assoziierten Diarrhoe oder einer Clostridium-difficile-Kolitis nicht vermindert werden (7).
Infektiöse Diarrhoe
Aus 63 Studien, in denen man Kindern oder Erwachsenen mit einer infektiösen Durchfallerkrankung einige Tage lang Probiotika verschrieben hatte, wurde eine Metaanalyse erstellt. Sie ergab, dass Probiotika die Dauer der Durchfallerkrankung im Durchschnitt um gut einen Tag verkürzen; ferner verminderten sie die Wahrscheinlichkeit, dass die Durchfallerkrankung länger als vier Tage dauert, um 59% und die Stuhlgang-Frequenz am zweiten Tag nach Behandlungsbeginn um 0,8 (8). Beim spezifischen Reisedurchfall versprechen Probiotika indessen keinen signifikanten Nutzen (9).
Reizdarmsyndrom
In einer Doppelblindstudie nahmen 122 Erwachsene mit Reizdarmsyndrom ein Probiotikum (Bifidobacterium bifidum) oder Placebo. Nach vier Wochen waren Reizdarm-Beschwerden (Schmerzen, Blähungen u.a.) mit dem Probiotikum signifikant zurückgegangen (10). Auch zu Kindern gibt es Daten, und zwar zeigte eine kleine Metaanalyse, dass ein Probiotikum (Lactobacillus rhamnosus) Reizdarm-bedingte Schmerzen zu lindern vermag (11).
Colitis ulcerosa
Bei Colitis ulcerosa wurden Probiotika sowohl bei aktiver Erkrankung als auch zur Rückfallprophylaxe in der Remissionsphase untersucht.
In zwei Doppelblindstudien verabreichte man Personen mit leicht- bis mittelgradiger Colitis ulcerosa, die unter einer Behandlung mit Mesalazin (Salofalk® u.a.) oder Immunsuppressiva standen, während 6 oder 8 Wochen das Probiotikum VSL#3® (eine Mischung von Lactobacillus-, Bifidobacterium- und Streptococcus-Stämmen). Eine mindestens 50%ige Besserung krankheitsspezifischer Symptome gelang mit dem Probiotikum signifikant häufiger als mit Placebo (12,13). Keinen Beitrag scheinen Probiotika dagegen leisten zu können, um eine aktive Colitis ulcerosa in eine Remission überzuführen (14).
Bei einer Colitis ulcerosa, die sich in Remission befindet, können Probiotika das Risiko eines Rückfalls etwas stärker vermindern als Placebo («Odds Ratio» [OR] 0,27, 95% CI 0,03–2,68), jedoch weniger gut als Mesalazin (OR 1,33, 95% CI 0,90–1,96) (15).
Auch bei Patienten und Patientinnen mit ileoanaler Pouch-Anastomose wurde das Probiotikum VSL#3® in zwei kleinen Studien getestet. So war das Risiko, dass sich (bis zu einem Jahr nach der Operation) eine sogenannte Pouchitis entwickelt, mit dem Probiotikum geringer als mit Placebo (16). Bei chronisch-rezidivierender Pouchitis, bei der man unter einer 4-wöchigen Behandlung mit Metronidazol (Flagyl® u.a.) und Ciprofloxacin (Ciproxin® u.a.) eine Remission erreicht hatte, liess sich der Zustand mit einer 1-jährigen Einnahme von VSL#3® zuverlässiger stabilisieren als mit Placebo (17).
Morbus Crohn
Bei 75 Kindern mit einem Morbus Crohn, die sich unter einer Standardbehandlung in einer Remission befanden, wurde das Auftreten eines Rückfalls mit einem Probiotikum (Lactobacillus rhamnosus) nicht signifikant hinausgezögert (18). Eine Cochrane-Übersicht kommt zum selben Fazit (19).
Andere Erkrankungen
Probiotika können bei einer Helicobacter-pylori-Infektion möglicherweise die Eradikationsrate verbessern; zudem kann man damit rechnen, dass sie die Nebenwirkungen der Behandlung (Durchfall) zu mildern vermögen (20). Auch bei Laktoseintoleranz, allergischer Rhinitis, Asthma, bakterieller Vaginose und atopischer Dermatitis wird ein möglicher Nutzen von Probiotika postuliert; indessen reichen die vorhandenen Studiendaten nicht, um ein schlüssiges Urteil zu fällen.
Nebenwirkungen
Schlussfolgerungen
Die vorliegenden Studienergebnisse lassen vermuten, dass Probiotika wie Lactobacillus spp. und Saccharomyces boulardii bei einigen gastrointestinalen Problemen zur Beschwerdelinderung dienlich sind. Meistens werden Probiotika gut vertragen; bei Immunsupprimierten oder Schwerkranken können sie aber in seltenen Fällen zu gefährlichen Infektionen führen.
Literatur
- 1) Kechagia M et al. ISRN Nutr 2013; 2013: 481651
- 2) Sanders ME et al. Gut 2013; 62: 787-96
- 3) Anon. Med Lett Drugs Ther 2013; 55: 3-4
- 4) Hempel S et al. JAMA 2012; 307: 1959-69
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- 6) Goldenberg JZ et al. Cochrane Database Syst Rev 2013; 5: CD006095
- 7) Allen SJ et al. Lancet 2013; 382: 1249-57
- 8) Allen SJ et al. Cochrane Database Syst Rev 2010; 11: CD003048
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- 10) Guglielmetti S et al. Aliment Pharmacol Ther 2011; 33: 1123-32
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- 15) Naidoo K et al. Cochrane Database Syst Rev 2011; 12: CD007443
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- 17) Mimura T et al. Gut 2004; 53: 108-14
- 18) Bousvaros A et al. Inflamm Bowel Dis 2005; 11: 833-9
- 19) Rolfe VE et al. Cochrane Database Syst Rev 2006; 4: CD004826
- 20) Ruggiero P. World J Gastrointest Pathophysiol 2014; 5: 384-91
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