Oseltamivir bei Grippe?

  • r -- Butler CC, van der Welden AW, Bongard E et al. Oseltamivir plus usual care versus usual care for influenza-like illness in primary care: an open-label, pragmatic, randomised controlled trial. Lancet. 2020 Jan 4;395:42-52. [Link]
  • Zusammenfassung: Markus Gnädinger
  • infomed screen Jahrgang 24 (2020)
    Publikationsdatum: 7. Mai 2020
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Für die saisonale Grippe werden relativ selten antivirale Mittel verschrieben. Einerseits müssen die Kosten von den Betroffenen selbst bezahlt werden, andererseits werden die Mittel als wenig effektiv empfunden und es ist zudem nicht klar, bei welcher Patientengruppe der Einsatz klinisch Sinn macht. In die vorliegende Studie wurden 3266 Personen mit Grippe-ähnlicher Erkrankung eingeschlossen. Sie erhielten randomisiert die übliche symptomatische Therapie mit oder ohne zusätzliches Oseltamivir (Tamiflu®). Die offene Studie fand in 209 hausärztlichen Zentren in 15 europäischen Ländern in den Wintern 2015/16, 2016/17 und 2017/18 statt. Die Studienteilnehmenden waren mindestens ein Jahr alt (<12: 14%, 12-65: 80%, <65: 6%), 55% waren weiblich, 15% hatten relevante Komorbiditäten. Primärer Endpunkt war die «Zeit bis zur Erholung», diese betrug 6,7 Tage und wurde in der Oseltamivir-Gruppe um 1,0 (0,7-1,3) Tage verkürzt. Oseltamivir wurde bis auf gelegentliche Nausea gut vertragen. Die Oseltamivir-Gruppe brauchte etwas weniger Antibiotika und Antipyretika, zudem fanden im Haushalt weniger Folgeinfektionen mit Grippe statt; die Häufigkeit von Pneumonien oder Hospitalisationen konnte hingegen nicht beeinflusst werden. Die Wirkung von Oseltamivir konnte bei praktisch allen Symptomen dokumentiert werden. Besonders stark profitierten ältere komorbide Personen mit schwereren Symptomen. Keinen Unterschied machte es, ob das Grippevirus mit PCR nachgewiesen wurde oder nicht, und auch nicht, ob früh (<24 h), mittel (24-48 h) oder spät (>48 h) nach Symptombeginn behandelt wurde. Die Autoren schliessen, dass die Behandlung von Grippe-ähnlichen Erkrankungen mit Oseltamivir speziell bei älteren polymorbiden Personen mit stark ausgeprägten und länger dauernden Symptomen eine wirksame Therapie darstellt, welche die Erholungszeit um 2-3 Tage verkürzen könnte. 

Kommentar
Wenn man Personen mit Grippe-ähnlicher Erkrankung serologisch nachkontrolliert, kann man feststellen, dass der Direktnachweis mittels PCR etwa ein Drittel der tatsächlichen Grippekranken verpasst, umgekehrt ist es beim positiven Nachweis zwar sehr wahrscheinlich, aber nicht sicher, dass die Symptome auch tatsächlich von der Grippe kommen (z.B. verpasste Pneumonie). Somit relativiert sich die Bedeutung des Direktnachweises etwas, was Raum lässt für die klinische Beurteilung und die empirische Therapie.
Die vorliegende Studie darf mit einer Einschlussquote von ca. 60% in Anspruch nehmen, dass es sich nicht um ein ausgewähltes Kollektiv, sondern um unsere tägliche Klientel handelt. So dürfen wir auch die Schlussfolgerung der Studie implementieren, dass es sich lohnen könnte, chronisch Kranke mit stark ausgeprägten Symptomen antiviral zu behandeln, und dies im Zweifelsfall auch, wenn die ersten zwei Krankheitstage schon um sind (obwohl einige Arbeiten den frühen Beginn mit Virostatika nahelegen). Allerdings handelt es sich auch um genau jene Gruppe, in der Folgekrankheiten wie die Pneumonie oder alternative Beschwerdeursachen besonders genau abgeklärt werden müssen und wo man oft nicht um eine Hospitalisation herumkommen wird. Bei primär nicht schwer erkrankten Personen, die zudem nicht zur Risikogruppe gehören, ist die Wirksamkeit allerdings bescheiden, zumal weder Pneumonien noch Hospitalisationen verhindert werden können.

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Oseltamivir bei Grippe? ( 2020)