Mirtazapin bei therapieresistenter Depression: kein Zusatznutzen

  • r -- Kessler DS, MacNeill SJ, Tallon D et al. Mirtazapine added to SSRIs or SNRIs for treatment resistant depression in primary care: phase III randomised placebo con-trolled trial (MIR). BMJ. 2018 Oct 31;363:k4218 [Link]
  • Zusammenfassung:
  • Kommentar: Peter Zingg
  • infomed screen Jahrgang 23 (2019) , Nummer 1
    Publikationsdatum: 21. Februar 2019
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Warum diese Studie?

Hausärztinnen und Hausärzte sind meist die erste Anlauf­stelle bei einer depressiven Erkrankung. Oft schlägt die Be­handlung mit Antidepressiva ungenügend an. In dieser briti­schen Studie wurde untersucht, wie eine zusätzli­che Ver­schrei­­bung von Mirtazapin (Remeron® u.a.) auf de­pressive Men­schen wirkt, die mit selektiven Serotonin­ant­agonisten (SSRI) wie Fluoxetin (Prozac® u.a.) oder Seroto­nin-Noradre­na­lin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) wie Duloxetin (Cym­­balta® u.a.) anbehandelt sind. Die Grundlage bildete die theoreti­sche Überlegung, dass Mirtazapin additiv und komplementär auf die Basismedikation wirkt.

Was hat man gefunden?

In 106 britischen Allgemeinpraxen wurde nach Studienteil­nehmenden gesucht, die nach einer mindestens 6-wöchigen Therapie mit SSRI oder SNRI weiterhin an leichten bis mittel­schweren depressiven Symptomen litten, d.h. mehr als 14 Punktwerte im Beck-Depressions-Inventar (BDI) aufwiesen. 480 Erwachsene wurden in die Studie eingeschlossen. Ihre Symptome entsprachen im Mittel BDI-Werten um 30 – d.h. sie lagen mindestens teilweise im Bereich einer schweren De­pression. Im Dop­pelblindverfahren erhielten 241 Per­so­nen 14 Tage lang 15 mg Mirtazapin täglich, danach 30 mg täglich; 239 Perso­nen nah­men Placebo ein. Alle Be­han­delten führten die frühere Anti­de­pres­siva-Behandlung weiter. Nach 12 Wo­chen hatten die de­pres­siven Symptome in bei­den Grup­pen abgenommen - unter Mirtazapin auf Werte von durch­schnittlich 18,0 auf der BDI-Skala, unter Placebo auf durch­schnittlich 19,7. Diese Diffe­renz wurde in der 24. und 52. Woche noch kleiner. 46 Personen brachen aufgrund von un­erwünschten Wirkungen die The­rapie mit Mirtazapin ab, in der Placebo-Gruppe waren es neun.

Wie wird es gedeutet?

Die zusätzliche Einnahme von Mirtazapin führte bei depres­siven, hausärztlich behandelten Personen, die auf eine The­rapie mit SSRI oder SNRI ungenügend reagiert hatten, zu kei­ner überzeugenden Besserung. Unter Mirtazapin waren The­rapieabbrüche deutlich häufiger als unter Placebo.

Zusammengefasst von Bettina Wortmann

Gast-Kommentar

Erweist sich eine antidepressive Medika­tion als nicht (genü­gend) wirksam, werden verschiedene Mass­nahmen empfoh­len wie Dosiserhöhung, Therapiewechsel, Kombinations­the­ra­pie bzw. Augmentieren (mit Lithium, Thy­roxin, einem neuen Neuroleptikum oder einem anderen Anti­depressi­vum). Leider ist keine dieser Interventionen wirklich aus­rei­chend belegt, insbesondere nicht im systematischen Ver­gleich mit dem Fort­setzen der bisherigen (noch) nicht wirksamen Be­handlung. Das hat auch eine Arbeits­grup­pe um T. Bschor mit Meta-Analysen aufgezeigt. Mit der vorliegenden sorg­fältigen Studie ist auch die Kombi­na­tion mit Mirtazapin als (zu­mindest noch) nicht evidenz­basiert ab­zu­haken. Gleichzeitig bestätigt sich ein­mal mehr: Kombina­tio­nen erhöhen nicht un­bedingt die Wirk­­samkeit, wohl aber die unerwünschten Wir­kungen, was auch für den mitunter fa­vori­sierten Einsatz neuer Neuro­leptika zu beden­ken ist. Die Zwickmühle bleibt weiter­hin be­ste­hen: Ist gedul­diges weite­res Warten nicht möglich, wird eine der ge­nann­ten (insge­samt gleichwertigen, aber auch gleicher­mas­sen nicht überzeu­gend belegten) Massnah­men zum Zuge kom­men müssen. Die kon­krete Wahl soll aus einer eingehen­den Konsensbildung zusam­men mit den Be­troffenen her­vor­gehen - und nicht-medi­ka­men­töse Alter­na­tiven nicht ausser Acht las­sen (wie Psycho­thera­pie, kognitive Ver­haltens­therapie oder Licht­the­ra­pie, auch bei nicht-saiso­na­len De­pressionen).

Peter Zingg, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Beringen

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Mirtazapin bei therapieresistenter Depression: kein Zusatznutzen ( 2019)